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Prof. Hermannjosef Rübben
Musikhochschule Köln/Bundeschorleiter im "Sängerbund"
Zu den führenden Frauen der deutschen Chormusik gehört ohne
Frage die Hamburgerin Felicitas Kukuck, die aus einer schlesischen Gelehrtenfamilie
stammt und deren Vater - der bedeutende Mediziner Otto Kestner - ein Mitbegründer
der Hamburger Universität war. Ihre Mutter, die Sängerin Eva
Barth, legte ihr sicherlich zu nicht unbedeutendem Teil die musikalische
Begabung in die Wiege. Wie anders ist neben ihrer guten musikpädagogischen
Führung, guten Lehrmeistern und einer sicheren, zielstrebigen Art
ihr bedeutsamer Aufstieg unter den wenigen großen Komponistinnen
erklärbar? Während ihrer Hamburger Schulzeit ist sie von Edith
Weiß-Mann und Robert Müller-Hartmann musikalisch geleitet worden.
An der Berliner Hochschule studierte sie gleichzeitig drei Hauptfächer:
Klavier, Flöte und insbesondere bei Paul Hindemith Komposition. Und
gerade vor wenigen Tagen bestätigte ein Feuilletonist der "Welt",
daß Felicitas Kukuck zu den wenigen Komponisten - gleich welchen
Geschlechts - gehört, in deren Schaffen Hindemiths Tonsatzlehre noch
wirksam ist. "Die moderne Musik ging bekanntlich andere Wege, sie vernachlässigte
einen kompositorischen Ansatz, der eigentlich dazu bestimmt war, weiterentwickelt
zu werden." Kompositorisch machte sich die Künstlerin, die 1939 den
Diplomingenieur Dietrich Kukuck geheiratet hatte, von ihrem Domizil in
Hamburg-Blankenese aus einen Namen. Als erstes Stück wurde die Sonate
für Blockflöte und Cembalo bei Möseler verlegt, der ein
im vergangenen Jahr uraufgeführtes Schwesternwerk (für Sopranblockflöte
und Klavier) zur Seite steht, um zu belegen, wie sehr gerade auf kammermusikalischem
Gebiet handwerkliche Sauberkeit und echte Kongruenz von Intention und
Ausdruck vorherrschend sind. Aus diesem Schaffensbereich sind die ebenso
knapp wie komprimiert gearbeiteten, bartoknahen fünf Tänze für
Klavier (1946), und die 1966 entstandene, musikalisch ebenfalls eine dichte
Sprache redende Sonate für Violine und Klavier zu nennen. Ihren pädagogischen
Neigungen, ihrem gelegentlich spürbar werdenden Einfluß von
Hugo Distler entspricht aber sicherlich noch stärker der Vorrang
der Vokalmusik in ihrem Schaffen, das von einfachen Originalsätzen
bis zu großartigen Motetten und abendfüllenden Oratorien reicht.
Am deutlichsten werden die verschiedenen Stil- und Klangwelten
der Komponistin in dem Passionsoratorium "Der Gottesknecht", dessen Texte
dem alten und neuen Testament entnommen sind und das Schicksal Hiobs zur
Leidensgeschichte Christi in Beziehung setzen. Zur Uraufführung dieses
doppelchörigen Werkes verbanden sich im März 1959 in Berlin
und Hamburg der Rupenhorner Singkreis Willi Träders und der Norddeutsche
Singkreis von Gottfried Walters. In diesem Werk, das sich der alten Motettenpassion
nähert, wird die Stimme Gottes vom Männerchor, die des Teufels
von den Frauenstimmen und die von Jesu und Hiob von gemischten Chören übernommen.
Carla Twittenhoff hat nicht zu Unrecht dieser Musik verantwortlichen
Ernst und die Herzen des Hörers ergreifende Leidenschaftlichkeit
nachgerühmt. Ortwin von Holst, der in Hamburg-Volksdorf wirkende
vielseitige Kirchenmusiker und Freund der Künstlerin, für den
viele Werke als "Gebrauchsmusiken" im guten Sinne des Wortes, gleichsam "auf
Bestellung" für ganz bestimmte Anlässe entstanden sind, kennzeichnet
wohl am umfassendsten und nachhaltigsten das Besondere ihrer Musik: "Diese
von einer Frau geschriebene Musik ist immer hochempfindlich und feinnervig,
nie primitiv motorisch, sondern von äußerst subtiler Deklamation.
Ihre Kompositionen erscheinen stets durchleuchtet, transparent und lassen
ein Gespür für feinste vokale Regungen und Schwebungen erkennen,
sowohl im Überschwang wie in versonnener Versenkung, dabei jedoch
kraftvoll und klug, formal bewußt und geplant."
Wie sehr Felicitas Kukuck in der Lage ist, mit sicherem Empfinden
die Mentalität des singenden Menschen zu treffen, beweist die weite
Verbreitung von Liedern, die sie geradezu exemplarisch aus dem Geist des
alten Volksliedes geschaffen hat. Sie selbst meint:
"Singen ist eine elementare Äußerung des Menschen wie Schreien,
Weinen und Lachen, das mit dem Sprechen zugleich erlernt, ja sogar als
Vorstufe des Sprechens, als tönendes Atmen aufgefaßt werden
kann. Das Lied als ein möglicher Inhalt des Singens ist zugleich
ein wesentlicher Inhalt jeder Musikerziehung in- und außerhalb der
Schule." In ihrem umfangreichen Werkverzeichnis sind "Lieder im Volkston" für
Frauenchor und als Klavierlieder ebenso "tonangebend" wie originelle Einfälle: "Drehorgelsongs" oder "Chorlieder
zum Lobe des Weines" (1965). Zahlreiche Kantaten geistlicher und weltlicher
Prägung (vornehmlich bei Fidula, Merseburger und besonders Möseler
erschienen), Singspiele, Musiken zu Theaterstücken und Lehrwerke
wie die Spielblattreihe "Der Fidelbogen" oder Klavierhefte wie "Hört,
ihr Leut" (Lienau) und "Kleine Musikantenstücke" (Schott) runden
die Vielseitigkeit der Meisterin. [...]
Prof. Hermannjosef Rübben, Frauen in der Chormusik,
in: Lied und Chor, Jg. 60, H. 1 (Januar 1968), S. 5
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